Mai 23, 2013

Neoliberalismus mit Südlichem Antlitz

Vijay Prashad

Jahrhundertelang haben die Nationen des Globalen Südens dafür gekämpft, sich politisch zu behaupten. Dieses Ansinnen äußerte sich ursprünglich im Widerstand gegen den Kolonialismus. Mit dem Zusammenbruch der europäischen Imperien entstanden dann neue Staaten in Afrika und Asien. Im Jahr 1955 kamen die Führungen dieser hoffnungsvollen Nationen im indonesischen Bandung zusammen, um ihre Kämpfe auf internationaler Ebene voranzubringen. Es war dieser „Geist von Bandung“, der Institutionen wie der Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM) und der G77, ihrer Gruppe innerhalb der UNO, in den nachfolgenden Jahren zugrunde lag. In wirtschaftlicher Hinsicht fand diese Idee ihren Ausdruck in der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD), während die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) eine alternative kulturelle Agenda vorantrieb. Diese Organe bildeten die institutionelle Entsprechung des „Dritte-Welt-Projekts“, des kollektiven Traums von einer anderen Welt, die von Frieden, Kooperation und Wohlstand für alle gekennzeichnet sein sollte.

In den 1980er Jahren kollabierte dieses Projekt, das bereits durch innere Widersprüche gefährdet war, unter dem Gewicht des nordatlantischen Neoliberalismus. Das „Dritte-Welt-Projekt“ war von einer nationalen Einheit über Klassengrenzen hinweg ausgegangen; es brach in sich zusammen, als lokale Eliten sich mit den Interessen des internationalen Kapitals gemein machten und Liquiditätskrisen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) die Tür für seine Programme der „Strukturanpassung“ öffneten – Programme, die diese Nationen ihrer Fähigkeit beraubten, die eigene wirtschaftliche Zukunft zu gestalten. Für die nachfolgenden Jahrzehnte würde der Neoliberalismus seinen triumphalen und destruktiven Siegeszug quer über den Planeten fortsetzen – bis die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression die Tücken dieses Konzepts zum Vorschein brachte.

Schon vor dem Ausbruch der Finanzkrise hatten Brasilien, Russland, Indien, China und schließlich auch Südafrika ihre Zusammenarbeit begonnen – hieraus ging später der BRICS-Block hervor. Im Gegensatz zu den führenden Ländern das Globalen Nordens erfreuen sich diese „Lokomotiven des Südens“ hoher Wachstumsraten, verfügen über extensive Naturressourcen und haben große, junge und gebildete Bevölkerungen. Wie beeinflussen ihr Aufstieg und ihre Kooperation globale Machtbeziehungen und die Geopolitik? Neigt sich die Dominanz des Nordens dem Ende zu?

In dieser Analyse bietet Vijay Prashad, Professor für Südasiatische Geschichte am Trinity College in Connecticut, Antworten auf diese Fragen. Seiner Ansicht nach ist, obwohl es teilweise eine Verbindung zwischen dem „Geist von Bandung“ und dem BRICS-Projekt gibt, letzteres keineswegs revolutionär. Das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern entsteht auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung und der Umwelt, und die BRICS-Eliten versuchen nicht, das bestehende System der globalen Ordnung umzustürzen, sondern lediglich daran teilzuhaben. Die BRICS-Staaten gewinnen jedoch an wirtschaftlicher Stärke. Sie sind im Begriff, ihre politische Stimme zu finden und die arrogante Dominanz des Nordens in globalen Angelegenheiten in Frage zu stellen. Prashad kommt zu dem Schluss, dass wir aufgrund des Aufstiegs der BRICS-Staaten bereits heute in einer multipolaren Welt leben.


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