Januar 18, 2018

Das Trump-Spektakel

Albert Scharenberg

In Donald Trump, schrieb unlängst Robert Zaretsky in der „New York Times“, findet die „Gesellschaft des Spektakels“ zu sich selbst – eine Gesellschaft, in der die Wahrheit auf eine Hypothese reduziert und der Inszenierung konsequent untergeordnet ist.

Und in der Tat: Im Weißen Haus regieren Lug und Trug. Die „Washington Post“ hat Trump allein in seinem ersten Amtsjahr über 2000 Lügen und falsche Angaben nachgewiesen, das sind rund fünf pro Tag.

Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten, der heute vor einem Jahr vereidigt wurde, mag die Wahrheit verleugnen und von Politik nichts verstehen. Als Reality-TV-Star und Celebrity ist er indes ein Meister der medialen Inszenierung. Politik wird ersetzt durch Aufmerksamkeitshascherei; jeden Tag schleudert der Twitter-Präsident seinen innen- und außenpolitischen Widersachern neue Beleidigungen entgegen. Dabei erfüllen selbst Skandale noch die Funktion, die Konsumenten als Zuschauer in einen Teil des Spektakels zu verwandeln.

Skandale ohne Ende

Und die Skandale folgen diesem Präsidenten auf Schritt und Tritt; wer einen von ihnen analysieren will, wird bereits vom nächsten überholt.

Die letzten Tage haben dies einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt: Da beleidigt der US-Präsident afrikanische Länder als „Dreckslöcher“ und wünscht sich mehr Einwanderer aus Norwegen; seine republikanischen Claquere springen ihm zur Seite, indem sie seine Aussage schlicht abstreiten; das „Wall Street Journal“ berichtet, Trumps Anwalt habe einer Porno-Darstellerin kurz vor der Wahl 2016 Schweigegeld für eine Affäre mit Trump gezahlt; der Präsident sagt seine Reise nach London, zum engsten Verbündeten des Landes, angesichts bevorstehender Proteste gegen seine Person ab; Trump will, trotz des Widerstands auch republikanischer Gouverneure, die Küsten des Landes flächendeckend für Offshore-Bohrungen freigeben – mit Ausnahme des Mar-a-Lago-Staates Florida; mit Steve Bannon wird einer der engsten Vertrauten des Präsidenten vom Hofe gejagt; und die Schlinge der Ermittlungen rund um die Russland-Affäre zieht sich mit jedem Tag enger um Trump. Zum großen Unbill des Präsidenten veranschaulicht nun auch noch Michael Wolffs neues Buch „Fire and Fury“, wie grotesk und stümperhaft die neue Regierung agiert.

Fest steht: Kaum jemals hat ein Präsident die Vereinigten Staaten so sehr gespalten wie Donald Trump. Die unablässigen Angriffe des rechtspopulistischen Präsidenten auf politische Gegner ebenso wie auf die demokratischen Institutionen – auf den Rechtsstaat, die unabhängigen Medien, die Wissenschaften – erschüttern das Land.

Nägel mit Köpfen

Während die liberale Öffentlichkeit nicht müde wird, sich über das erratische Verhalten, die Inkompetenz und andauernden Lügen des Präsidenten zu empören, hat die Regierung in manchen Politikbereichen Nägel mit Köpfen gemacht. Zwar sind viele Vorhaben des Weißen Hauses in der Tat am Chaos und Unvermögen des narzisstischen Präsidenten gescheitert; das bekannteste Beispiel sind die wiederholten Anläufe zur Abschaffung der „Obamacare“ genannten Ausweitung der Krankenversicherung. Nach langer Anlaufzeit hat es die mit Vertretern der Ölbranche, der Wall Street und des Militärs gespickte Rechtsregierung, unterstützt von eigenen Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses, inzwischen aber geschafft, Eckpfeiler des eigenen Programms umsetzen.

Ihr größter Erfolg liegt dabei erst wenige Wochen zurück. Mit der Verabschiedung der Steuerreform hat Trump die wichtigste Forderung seiner Geldgeber erfüllt, nämlich die Reichen und die Konzerne durch massive Steuersenkungen weiter zu begünstigen. Dabei schreckten die Republikaner, die sich gegenüber Präsident Obama als Gralshüter des ausgeglichenen Haushalts geriert hatten, nicht davor zurück, die Reform auf Pump zu finanzieren – gerade so, wie sie es bereits mit Afghanistan- und Irakkrieg gehandhabt hatten. In der nächsten Dekade wird das Staatsdefizit durch die Reform um bis zu 1,5 Billionen Dollar ansteigen, wenn nicht anderswo Kürzungen angesetzt werden. Schon diskutieren die Republikaner im Kongress, dass deshalb die, vergleichsweise ohnehin geringen, sozialstaatlichen Leistungen weiter zusammengestrichen werden müssten.

Aber auch unterhalb der gesetzlichen Ebene hat die Regierung Trump ihre exekutiven Vollmachten dazu genutzt, das Land in wichtigen Politikfeldern auf einen anderen Kurs zu bringen. So hat die von einem Verizon-Lobbyisten geführte zuständige Behörde FCC im Dezember die Netzneutralität außer Kraft gesetzt – eine Entscheidung, deren Folgen enorm sein dürften. Mit der Ernennung des erzkonservativen Neil Gorsuch hat Trump die rechte Mehrheit im Obersten Gericht gefestigt.

Manches vollzieht sich auch unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle. So hat das Arbeitsministerium im August 2017 alle Daten über Todesfälle am Arbeitsplatz gelöscht und verfügt, dass Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten keine Angaben zu arbeitsplatzbezogenen Verletzungen oder Krankheiten mehr vorhalten müssen.

Mit Blick auf den Klimawandel wurde das Ruder ebenfalls herumgeworfen. Nicht zufällig nannte Noam Chomsky die Republikaner in diesem Zusammenhang „die gefährlichste Organisation der Menschheitsgeschichte“. Trump verkündete den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und fördert stattdessen nach allen Kräfte die Ölbranche, der seine größten Unterstützer angehören. Der Leiter der Umweltschutzbehörde (EPA), Scott Pruitt, hat Wissenschaftler in der EPA weitestgehend durch Lobbyisten der Energiebranche ersetzt, Umweltschutzbestimmungen, etwa zum Schutz des Wassers und der Luft, aufgehoben, und alle Hinweise auf den Klimawandel von der Webseite der Regierung entfernt.

Kennzeichen Rassismus

Trumps erstes Jahr im Amt hat die These, der Präsident sei ein unideologischer Macher, mit dem sich gut Geschäfte machen ließen, endgültig widerlegt. Das Gegenteil ist der Fall: Erst durch Trump ist der offene Rassismus, der seit den Tagen der Bürgerrechtsbewegung verpönt war, in den öffentlichen Diskurs zurückgekehrt.

In der Tat zieht sich eine Spur rassistischen Denkens und Handelns durch Trumps Biographie, von seiner Agitation gegen die (unschuldigen) „Central Park Five“ und seine Unterstützung der rassistischen „Birther“-Bewegung gegen Obama über seine antimexikanischen und antimuslimischen Ausfälle und die Diffamierung der Proteste afroamerikanischer Athleten bis hin zum jüngsten Statement über afrikanische Länder als „Dreckslöcher“.

Der Moment der Wahrheit war dabei für viele Beobachter Trumps Statements zu den Ereignissen in Charlottesville, Virginia, im August 2017. Dort hatten weiße Rassisten und Nazis einen Fackelzug veranstaltet und antisemitische Parolen („Juden werden uns nicht ersetzen“) skandiert. Einer der Demonstranten fuhr gar mit einem Auto in die Gegendemonstranten und tötete so die Antifaschistin Heather Heyer. Als Trump dann von „guten Menschen auf beiden Seiten“ sprach, anstatt die Faschisten uneingeschränkt zu verurteilen, gingen ihm selbst Parteigänger von der Stange. Sogar sein medialer Schutzpatron Rupert Murdoch suchte öffentlich die Notbremse.

Von Dreckslöchern und kleinen Raketenmännern

Trump wäre, so sein Biograph David Cay Johnston, nur zu gern Diktator. Denn, so ist man geneigt hinzuzufügen, als Präsident möchte er den Staat regieren wie seinen Konzern: absolutistisch, ohne Widerrede. Das belegt – und belastet – seine Innen-, aber auch seine Außenpolitik.

Auf der internationalen Bühne hat Trump die Verbündeten Washingtons – wie etwa Australien, Frankreich oder Deutschland – in aller Öffentlichkeit beleidigt und herabgewürdigt. Autoritäre Führer hingegen umgarnt er, von Riad über Moskau bis Manila. Auch in den europäischen Rechtspopulisten vom Schlage Nigel Farage, Marine Le Pen oder Jarosław Kaczynski erkennt er Gesinnungsverwandte.

Zugleich versteht Trump so wenig von internationaler Politik, dass er gar nicht zu merken scheint, wie er in seinen „Bromances“ regelmäßig über den Tisch gezogen wird – und die Vereinigten Staaten international zu isolieren droht. Länder als „Dreckslöcher“ zu verunglimpfen, sich in komplizierten Konflikten dummdreist auf eine Seite zu schlagen (wie in der Jerusalem-Frage), oder atomar gerüstete Diktatoren wie Kim Jong-un zu beleidigen: Auf diese Weise macht man sich keine Freunde. Und das Ausland hat längst begriffen, dass man diesem Präsidenten nur schmeicheln und einen großen Bahnhof machen muss, um das zu bekommen, was man möchte. Alles, was Trump will und wie er „tickt“, weiß man schließlich aus seinen Tweets.

Das ganze Unvermögen Trumps wird in der Außenpolitik nur noch offensichtlicher. Denn seine politischen Entscheidungen folgen, neben seinem Narzissmus, nur einer Richtschnur: die eigene Basis im Inland zu befriedigen. So war es mit dem Ausstieg aus dem Klimaabkommen, der Jerusalem-Entscheidung und dem Säbelrasseln gegen das Iran-Abkommen, und so ist es letztlich auch mit dem „Dreckslöcher“-Kommentar oder der instrumentellen Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik. Was seine Worte in anderen Ländern anrichten, versteht er so wenig wie es ihn interessiert. America first.

Nach Trump

Hinzu kommt: Trump hat zu keinem Zeitpunkt versucht, Präsident aller Amerikaner zu sein. Er war und ist immer nur der Präsident der republikanischen Basis. Dort erfreut er sich auch nach wie vor großer Beliebtheit, rund 80 Prozent der Republikaner stimmen seiner Amtsführung zu. Aber vier Fünftel aller Republikaner reichen nur zu rund 35 Prozent Zustimmung in der Gesellschaft – zu wenig für die Festigung der eigenen Herrschaft.

Und so ist denn auch der Widerstand gegen Trump so alt wie seine Präsidentschaft. Bereits am Tag nach seiner Amtseinführung gab es mit dem Women’s March bekanntlich die größte Demonstration, die das Land je gesehen hat. Auch an der Wahlurne haben die Republikaner zuletzt eine Serie schmerzlicher Niederlagen erlitten. Viel dürfte davon abhängen, wie im November die Zwischenwahlen zum Kongress ausgehen werden.

Immer deutlicher tritt allerdings zutage, dass nicht Trump, sondern seine Anhängerschaft, die republikanische Basis und ihre Geisteshaltung, das Problem darstellt. Denn selbst wenn Trump irgendwann gestürzt oder nicht wiedergewählt werden sollte, sind seine Anhänger – und mit ihnen ihr abgrundtiefer Hass auf Latinos und Schwarze, auf Andersdenkende, auf die Wissenschaft – nicht weg. Sie werden absehbar nur noch energischer auf Erfüllung der rechtspopulistischen Versprechen pochen. Das verheißt auch für die Zeit nach Trump viel Ungemach.

Zuerst veröffentlicht in „Neues Deutschland“, 20.1.2018, www.neues-deutschland.de.


Verbunden